Knoop, Pater Heinrich SDB

Es war um 1930, als in Borbeck das Gerücht umging, auf dem Gelände zwischen Weidkamp, Grasstraße und Brauk lebe ein gefährlicher Mensch, vor dem man sich hüten und vor allem die Kinder schützen müsse. Man dürfe ihm nicht ohne Gefahr für Leib und Leben zu nahe kommen. Wer das Gerücht in Umlauf gebracht hat und warum es sich so hartnäckig gehalten hat, wusste damals und weiß bis heute niemand genau zu sagen. Grund genug, der Sache auf den Grund zu gehen. Bei der Recherche stößt man rasch auf den Mann, der seinerzeit die Irritationen und Ängste in der Bevölkerung ausgelöst hat. Sein Name: Heinrich Knoop. Sein Lebensweg soll im Folgenden nachgezeichnet werden.

Der Leprakranke vom Panzerbau.
Die Lebensgeschichte von Pater Heinrich Knoop

Die Herkunft

Geboren wurde Heinrich Joseph Knoop am 08. Juli 1883 in der Raesfelder Schlossfreiheit (Kreis Borken) als zwölftes von vierzehn Kindern des Schieferdeckers (Dachdeckers) Bernhard Knoop (*13. November 1840, + 29. Januar 1904) und seiner Ehefrau Anna Elisabeth Knoop, geborene Bonhoff (*22. März 1846, + 02. Dezember 1902). Laut Eintrag im Taufbuch der kath. Kirchengemeinde St. Martin wurde er am 05. Juli 1883 in Raesfeld durch den Vikar Johann Joseph Nienhaus, selbst gebürtig in der Schlossfreiheit, getauft. Taufpaten waren Heinrich Spangenmacher und Sophia Schellerhoff. Der Vater war von Beruf Schiefer- bzw. Dachdecker. Im Nebenerwerb betrieb er eine kleine Landwirtschaft.

Heinrich Knoop stammt aus einer alteingesessenen Familie. Die Spuren der Familie Knoop reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück. 1669 wird ein Henrich bzw. Heinrich Knoop aus der Freiheit Raeseld urkundlich erwähnt. Er bewirtschaftete landwirtschaftlich genutzte Flächen („sechs Äcker“) und erwarb 1676 ein Haus in der Raesfelder Freiheit zu erblichem Besitz. Er wurde dadurch Bürger der Freiheit und Lehnsmann von Ferdinand Godefred, Graf von Velen und Freiherr von Raesfeld geworden, dessen Vorgänger um die Mitte des 17. Jahrhunderts die ehemalige Ritterburg zum Residenzschloss hatte ausbauen lassen. Seinem Lehnsherrn musste Heinrich Knoop jährlich ein „Rauchhuhn“ abgeben und bestimmte Dienste leisten. Im Gegenzug erhielt er dafür den Schutz des Grafen.

1822 kaufte Freiherr Ignaz von Landsberg-Velen den Besitz. Der neue Patronatsherr ließ das Schloss renovieren und machte daraus einen landwirtschaftlichen Betrieb, das „Gut Raesfeld“. Aus dem verwilderten Schlosspark machte er Ackerland. In der Vorburg wurden Ställe für Kühe, Schweine und Pferde geschaffen. In der Raesfelder Schlossfreiheit, einem von der alten Burganlage umschlossenen Wohnbezirk, lebten 1817 insgesamt 233 Bewohner, im Jahre 1861 war die Hahl auf 309 gestiegen. Die Eingesessenen im Schutze des Burgherrn waren weitgehend autark und von der Zahlung städtischer Lasten und Abgaben befreit. So auch die Familie Knoop, die ihren Besitz an Immobilien („Borglehen“) und Agrarland von Generation zu Generation erweiterte und weitergab.

1866 übertrugen der Schieferdecker Johann Knoop und seine Ehefrau Adelheid ihr Haus auf ihren großjährigen Sohn, den Schieferdecker Bernhard Knoop. Sie behalten sich lebenslangen Nießbrauch vor. Johann Knoop unterschrieb mit drei Kreuzen, von seiner Frau Adelheid hieß es, sie sei in der Schreibung unerfahren. Auf dem ehemaligen Borglehen der Familie Knoop steht heute eine Gaststätte. Seit 1700 wurde der Beruf des Leyendeckers (später Schieferdecker oder Dachdecker) innerhalb der Familie von Generation zu Generation bis ins 20. Jahrhundert weitergereicht. Prägend für die Geschichte der Familie ist ihr strenger katholischer Glaube. Im Nachruf auf Franz Knoop ist ausdrücklich erwähnt, dass er „aus einer gottesfürchtigen und gottgesegneten Familie“ stammte.

Die Geschwister

1867 kam Heinrichs ältester Bruder Johann Julius zur Welt. Ihm folgten die Schwestern Anna Maria Adelheid (*1869), Maria Franziska Theresia (*1871), Agnes Johanna (*1872). Auf den zweitältesten Bruder Friedrich Hermann Aloysius (*1875) folgten wieder drei Schwestern, nämlich Maria Antonia (*1876), Carolina Antonia (*1877) und Johanna Juliana (*1878). Danach kamen nacheinander fünf Jungen zur Welt – Kaspar Carl Joseph (*1880), Heinrich Bernhard (*1881, gestorben im April des darauffolgenden Jahres), Heinrich Bernhard (*1882), Heinrich Joseph (*1883) und Franz Xaver Maria (*1884). Zuletzt wurde die Schwester Jacobina Louise (1889) geboren.

Die älteste Schwester Anna Maria trat 1891 im Kloster „Haus Loreto“ in Simpelveld (Provinz Süd-Limburg) in die Kongregation der Schwestern vom armen Kinde Jesus ein, nahm den Ordensnamen Johanna Pia an und legte 1896 die ewigen Gelübde ab. Sie ist 1928 gestorben. Ihre jüngere Schwester Johanna Juliana trat im Jahr 1900 in den gleichen Orden eintrat, legte 1906 als Schwester Angelica die ewigen Gelübde ab, wurde Lehrerin und leitete viele Jahre, zuletzt als Oberstudiendirektorin, die St. Anna-Schule in Düsseldorf. Sie starb 1959 und wurde auf dem Friedhof in Lohmar (Siegkreis) beigesetzt.

Die jüngste Schwester Jacobina Louise studierte nach dem Besuch einer höheren Schule in Maastricht (Holland) an der Universität Münster. Sie lernte dort Spanisch. 1911 trat sie wie ihre beiden Schwestern folgend in Simpelfeld in den Orden ein und nahm den Ordensnamen Mechtildis an. 1914 legte sie die Ewigen Gelübde ab. 1927/1928 war sie als Lehrerin für Mathematik an Schulen in Düsseldorf und Bad Godesberg tätig. Darauf folgte eine zehnjährige Tätigkeit als Provinzialassistentin in Aachen-Burscheid. Nach der Schließung der Ordensschulen übernahm Schwester Angelika die Leitung einer Schule in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá. Sie hat maßgeblich an der Gründung der Mädchenschule „Colegio Santa Clara“ im Zentrum von Bogotá mitgewirkt. Sie war als Oberin und Lehrerin bis 1957 an dieser Schule tätig. Anfang des Jahres 1957 verließ Schwester Mechtildis das „Colegio Santa Clara“ und eröffnete in Bosa, einem Stadtteil im Süden von Bogotá, das „Instituto Clara Fey“, eine Schule für die ländliche Bevölkerung, an der kein Schulgeld erhoben wurde. Es folgten weitere Schulgründungen in Bogotá: 1958 das „Institut Cor Jesu“ im Armenviertel Belén und 1965 das „Instituto Andreas Fey“. Von 1968 war sie dort als Assistentin beschäftigt. Am 17. Februar 1973 ist Schwester Mechtildis in Bosa an einer Lungenentzündung gestorben. Sie wurde auf dem städtischen Friedhof in der ordenseigenen Gruft beigesetzt. Die Totemesse zelebrierte ein spanischer Bischof zusammen mit 15 Priestern, darunter Salesianer, Salvatorianer, Jesuiten und Weltpriester. Bischof Hengsbach und Weihbischof Stehle war die Teilnahme an der Trauerfeier verwehrt, da sie durch die gleichzeitig in Bogotá stattfindende Bischofskonferenz in Sachen ADVENIAT unabkömmlich waren. Für ihre Verdienste erhielt Schwester Mechtildis 1956 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. (Quelle: Kolumbien aktuell Nr. 86, Dezember 2011, S. 23 und Nr. 108, April 2019 – Magazin des Deutsch-Kolumbianischen Freundeskreises e.V.).

Die beiden Brüder Johann Julius und Franz Xaver Maria wurden Priester. Johann soll 1896 in Kansas City, USA, während einer Messfeier von einem Fanatiker erschossen worden sein. Es gibt allerdings keine Belege dafür. Der jüngere Bruder Franz Xaver Maria studierte zunächst Chemie, folgte dann aber seinem Bruder Heinrich, schloss sich 1912 dem Orden der Salesianer an, wurde im Juli 1921 in Wien zum Priester geweiht und kurz darauf vom damaligen Provinzial P. Niedermayer zum Leiter des Knabenheims der Salesianer in Essen-Borbeck ernannt. 1924 ging P. Knoop als Missionar nach Patagonien im Süden von Argentinien. Hier gründete er auf seinen zahlreichen Reisen durch die karge, baumlose Buschsteppe Patagoniens eine Reihe von Missionsstationen und errichtete mehrere Gotteshäuser. Er galt bei seinen Mitbrüdern, so heißt es in seinem Nachruf, als „ausgezeichneter Ordensmann und eifriger Missionar.“ Als „Freund der Armen und Schwachen“ und besonders der Kinder erwarb er sich überall hohe Anerkennung. Infolge der Strapazen, die der beliebte und geschätzte Missionar auf sich nahm, erlitt der gesundheitlich schon länger angeschlagene P. Knoop einen Schlaganfall. Er starb am 20. März 1944. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wurde er in der Salesianergruft in Viedma (Hauptstadt der Provinz Rio Negro, etwa 30 km oberhalb der Flussmündung) beigesetzt.

Heinrich Knoop: Ausbildung und Missionstätigkeit

Über die schulische Ausbildung von Heinrich Knoop ist nichts bekannt. Es heißt, dass er die gymnasiale Ausbildung nach der 7. Klasse um 1899/99 abgebrochen und nach einer kaufmännische Lehre einen technischen Beruf ergriffen habe. Für den Entschluss, aus dem Beruf auszusteigen, um Priester zu werden, gibt es keine konkreten Anhaltspunkte. Die Annahme, dass ihn ein Schiffsunglück, dem er durch Zufall entgangen sei, zu dem Entschluss bewogen habe, ist wohl zu kurz gegriffen. Die Berufung zum Priestertum dürfte mit Blick auf seine familiäre Sozialisation bereits lange Zeit in ihm geschlummert haben. (Grünner, S. 84). Es fällt auf, dass sowohl Heinrich als auch Franz erst auf Umwegen zum Priesterberuf gekommen sind. Die Gründe dafür sind nicht bekannt.

Ab 1907 besuchte Heinrich Knoop als sogenannter „Mariensohn“ das Deutsche Don Bosco-Institut St. Bonifacio für Spätberufe in Penango-Monferrato im Piemont, um seine gymnasiale Ausbildung für ein theologisches Studium zu vervollständigen. Nach dem Abschluss der Schulausbildung trat Heinrich Knoop 1908 in das Noviziat der Salesianer in Lombriasco bei Turin ein. Zu dieser Zeit wurde in ihm der Wunsch wach, Missionar zu werden. Tatsächlich erhielt er am Ende des Noviziats von seinen Oberen die Erlaubnis, nach Kolumbien zu gehen, um in der Hauptstadt und in der Provinz Bogotá vor allem für Leprakranke und für bedürftige und gefährdete Jugendliche zu arbeiten. Nach dem Studium der Philosophie und Theologie legte er 1913 legte das Ewige Gelübde ab. 1916 wurde er als Spätberufener im Alter von 33 Jahren in Ibagué, einer kolumbianischen Gemeinde (ca. 200 km von Bogotá entfernt), zum Priester geweiht (fünf Jahre vor seinem Bruder Franz).

Für die Arbeit mit Leprakranken schickte ihn der Orden in die Aussätzigen-Kolonien Agua de Dios und Cano de Loro. In Agua de Dios, wo die Salesianer 1871 ein Lazarett für Leprakranke gegründet hatten, unterhielten die Salesianer eine Einrichtung, in der mehr als 5.000 Kranke in totaler Isolation und streng bewacht lebten. Es gab sogar eine eigene Währung („das „Lazaretto“) und eigene Ausweise. Seit 1891 hatten die Salesianer in verschiedenen Einrichtungen die Erziehungs- und Bildungsarbeit für die vom Staat allein gelassenen unterprivilegierten (jungen) Menschen übernommen. Hier wurde der junge Pater Heinrich Knoop dringend gebraucht. Er bemühte sich nach Kräften, die wirtschaftliche und soziale Not der Kranken zu lindern. Es gelang ihm unter anderem, vom Präsidenten des Landes Geld für den Bau einer neuen Kirche und einer Schule zu bekommen.

In Agua de Dias und in anderen Konfliktzonen der Provinz Bogotá arbeitete Heinrich Knoop neun Jahre lang als Ökonom und in der Pastorale und Pflege der Kranken. Überall galt er als Freund der Armen und Bedürftigen. Er erteilte jungen Menschen Unterricht und sorgte dafür, dass sie einen Lebensunterhalt und eine Ausbildung bekamen. 1925 durfte P. Knoop in der Hoffnung auf Erholung von den Strapazen der Arbeit seinen ersten Heimaturlaub antreten. Die Menschen ließen ihren fürsorglichen Freund und Helfer, der als Padre Enrique überall bekannt war, nur ungern ziehen.

Erkrankung und Rückkehr nach Europa

Knoop verließ das Land in der Hoffnung auf Erholung und Wiederkehr. Da wusste er noch nicht, dass er das Lepra-Virus längst in sich trug. Während des Frühstadiums der Krankheit, sichtbar unter anderen durch Hauptflecken, konnte er sich noch frei bewegen und bei Mitbrüdern und bei Verwandten unterkommen. Als die Krankheit offen austrat, musste er sich im Laufe des Jahres 1927 zur Behandlung in das Tropeninstitut in Hamburg begeben. Doch sein Zustand besserte sich nicht.

Der Kranke litt stark unter der mehr als drei Jahre währenden krankheitsbedingten Isolation und Einsamkeit im Krankenhaus, in dem er, wie P. Theodor Hartz in seinem Nachruf am 13. September 1933 schrieb, der einzige Katholik war. Priesterlicher Trost blieb ihm versagt. Nur selten erhielt er geistliche Stärkung durch den Empfang der Sakramente. Die großen Entfernungen machten regelmäßige Krankenbesuche unmöglich. Nur die Lehrerin Bernita Maria Moebis, geboren am 30. Oktober 1898, die mit einem Buch über die Familie des Schriftstellers Walter Flex (erschienen 1926) bekannt geworden war, stand ihm in dieser Zeit hilfreich zur Seite. Sie ist am 15. Oktober 1939 gestorben und auf dem Friedhof an der Hülsmannstraße begraben worden. Vermutlich hatte sie durch P. Knoop und vielleicht auch P. Theodor Hartz eine enge Beziehung zur Gemeinschaft der Salesianer entwickelt und war ihnen zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Borbeck gefolgt.

Das Haus am Weidkamp

Es war der sehnlichste Wunsch von P. Knoop, in der Nähe der Salesianer in Essen-Borbeck seinen Tod erwarten zu dürfen. Dabei kam ihm zu Hilfe, dass sein Bruder Franz Knoop einige Jahre zuvor am St. Johannisstiftes der Salesianer in Essen-Borbeck tätig gewesen war. Nach einer von den Ordensoberen genehmigten ersten Kontaktaufnahme im Jahre 1927 besuchte der Direktor des St. Johannis-Stiftes, P. Theodor Hartz, den Mitbruder in den folgenden Jahren mehrere Male an seinem Krankenlager in Hamburg. Gemeinsam stellte man Überlegungen an, wie und wo der Leprakranke seinem Wunsch entsprechend in der Nähe der Salesianer und doch abgeschieden von der Öffentlichkeit untergebracht werden konnte.

Als Grund für den Wechsel von Hamburg nach Essen wurden damals unter anderem, zum Beispiel vom Borbecker Stadtverordneten und Mitglied der Gesundheitskommission Dr. August Siefers (Lehrer am Gymnasium Borbeck), die hohen Unterbringungskosten für den Kranken ins Spiel gebracht, die der Salesianer-Orden nicht mehr aufbringen konnte. Schließlich stießen die Salesianer auf ein unbebautes Wiesengelände am unteren Weidkamp.

Nach dem Erwerb des Grundstücks begannen am 15. September 1930 die Bauarbeiten für das Haus, in dem der leprakranke P. Knoop mit Genehmigung der zuständigen Behörde abgeschieden von der Öffentlichkeit leben konnte. P. Theodor Hartz und die aus Borbeck stammende privat tätige Krankenschwester Josefine Jansen holten den Kranken im Dezember 1930 im Hamburger Tropenkrankenhaus ab. Wenige Tage vor Weihnachten zogen P. Knoop mit der Schwester in das separat stehende und eingezäunte Haus ein. Es stand, so schrieb der Borbecker Lokalanzeiger am 01. Januar 1931,

„mitten in der sumpfigen Wiese, die schwer betretbar ist, die Füße versinken tief im morastigen Grund. Nur ein schmaler Aschenweg führt heran. Es ist abgeschlossen von den Menschen, obgleich nahe dem dichtbesiedelten Gebiet. Man wird annehmen dürfen, dass die Patres selbst alle Vorsichtmaßnahmen walten lassen, dass jede Möglichkeit einer Übertragung dieser an sich ausgesprochen tropischen Krankheit, die in unseren Zonen äußerst selten ist, ausgeschaltet wird. “

Bei dem Gebäude handelte es sich laut Grundbuch um ein Einfamilienhaus, Baujahr 1930, das als Wohnhaus bzw. als Isolierstation für einen Leprakranken vorgesehen war. Das Gebäude selbst war ein Ziegelbau in eingeschossiger Bauweise mit flachem Pappdach ohne Elektro- oder Gasanschluss. Die Grundstücksfläche betrug 11.314 qm, die Wohnfläche 70 qm. Die Baukosten betrugen 11.000 Mark. Die Anschrift lautete Weidkamp 220 a. Eigentümer war das St. Johannisstift der Salesianer Essen.-Borbeck.

Reaktionen in der Bevölkerung

Die Unterbringung des leprakranken Paters verlief nicht störungsfrei. Schuld daran waren Artikel von Ende 1930 im linksliberalen Dortmunder Generalanzeiger und im kommunistischen Organ „Ruhr-Echo“ über die angeblich unverantwortliche Unterbringung eines Leprakranken in einem Wohngebiet. Zusätzlich sorgte ein Bericht in der Essener Volkszeitung vom 31. Dezember – Schlagzeile „Eremitage eines leprakranken Paters“ – für Unruhe in der Bevölkerung. In reißerischer Manier wurde Kritik am Standort des Hauses für P. Knoop und an den angeblich mangelhaften Hygienemaßnahmen geübt:

„Zirka 30-100 Meter von dieser letzten Wohnstätte eines unsäglich qualvoll dahinsiechenden Menschen aber stehen Arbeiterhäuser, spielen Kinder! Die zahlreichen Einsprüche der Anwohner dieses ohnehin ungesunden Landstreifens gegen einen solch außerordentlichen Seuchenherd haben nichts gefruchtet.“

Die Salesianer, so wurde behauptet, hätten den kranken Pater in einem „bereits halbverfaulten Zustande“ in einer für sie billigeren Wohnstätte einquartiert. Zugleich suggerierte man erhöhte Ansteckungsgefahr durch das angeblich unverantwortliche Verhalten der Mitbrüder:

„Dort lesen sie am Bette des Kranken, nur durch eine Glasscheibe getrennt, jeden Morgen die Messe, um darauf in ihr Kloster zurückzukehren und die Jugend zu unterrichten!“

Eine Replik auf die Stimmungsmache gab es in der Neujahrsausgabe 1931 des Borbecker Lokalanzeigers:

„Seit Tagen schwirren in Borbeck die tollsten Gerüchte um einen Leprakranken, der auf Borbecker Gebiet abgeschlossen leben sollte. Nachdem nun auch eine Essener Zeitung [gemeint ist die Essener Volkszeitung – d. Verf.] hierüber berichtet, halten wir es für notwendig, die Öffentlichkeit über den wahren Sachverhalt zu unterrichten. (…) Dass man alle Vorsichtmaßregeln getroffen hat, um eine weitere Verbreitung dieser Krankheit zu verhindern, ist nach unseren Feststellungen selbstverständlich. Diese in tropischen Ländern auftretende Krankheit soll bei unserem Klima kaum ansteckend wirken.“

Daraufhin ruderte die Essener Volks-Zeitung in ihrer Ausgabe vom 03. Januar 1931 zurück. Sie war sehr darum bemüht, ein Zeichen gegen „Sensationssucht oder Hetze“ zu setzen und zur Aufklärung und Richtigstellung des Sachverhaltes beizutragen. Der Kernsatz des Beitrags lautete:

„Die Fälle der Ansteckung bleiben daher immer vereinzelt, auch in den Tropen. Infolge der immer mehr fortschreitenden Lepraforschung und der Schutzmittel, wie sie die moderne Medizin bietet, hat diese Krankheit viel von ihrer früheren Gefahr verloren.“ (vgl. Grünner, S. 87).

Als Experten ließ man Prof. Dr. Gottlieb Olpp von der medizinischen Fakultät der Universität Tübingen mit dem Satz zu Wort kommen: „Die Lepra ist aber lange nicht so ansteckend wie Tuberkulose oder Syphilis.“ Süffisant gab man abschließend den Artikelschreibern des Ruhr-Echos und des Dortmunder Generalanzeigers den Rat, künftig keinen Mokka mehr zu trinken, keine Bananen mehr zu essen und schon gar nicht Havannas zu rauchen, weil diese Artikel aus Ländern stammten, wo es noch Tausende von Leprakranken gebe. Wie leicht könnte man da angesteckt werden! Maßgeblich, so die Zeitung abschließend, seien allein die Vorschriften der Gesundheitsbehörde.

Kurz darauf führte die durch die Presseberichterstattung erzeugte Unruhe in der Bevölkerung am 23. Januar 1931 zu einer Sitzung der Gesundheitskommission der Stadt unter der Leitung des Dezernenten Dr. Fischer. Der Niederschrift zufolge eröffnete Dr. Fischer die Sitzung mit dem Hinweis, dass er die Sitzung „mit Rücksicht auf eine in der Tagespresse zum Ausdruck gekommene Erregung der Bevölkerung über den Fall des leprakranken Paters in Essen-Borbeck“, anberaumt habe, um Gelegenheit zur sachlichen Aufklärung und Beruhigung der Anwohner zu geben. Z

unächst äußerte sich Medizinalrat Dr. Schürmann zum Leprafall. Er habe im Sommer 1930 zum ersten Mal davon erfahren und dringend, jedoch vergeblich von einer Überführung des Kranken nach Essen abgeraten. Medizinalrat Dr. Hagemann, Kreisarzt des Bezirks Essen-Nord, informierte die Kommission über die Art der „Absonderung“ und die seuchengesetzlichen Maßnahmen bezüglich der Kontakte mit dem Leprakranken. Dr. Hagemann:

„Wenn es auch besser gewesen wäre, den Kranken nicht von Hamburg nach Essen zu bringen, so sei doch alles geschehen, um jede Weiterverbreitung der Krankheit zu verhindern; übrigens sei die Angst vor dieser Krankheit unbegründet; da sie nicht mehr übertragbar sei als z.B. die Tuberkulose.“

Auf den Einwand des aus Borbeck stammenden Stadtverordneten K. Samel, dass der leprakranke Pater nur 50 m entfernt von einer Bergarbeiter-Siedlung untergebracht sei, in der etwa 1.000 Bergleute wohnten und über 500 Kinder auf den Wiesen um das Haus spielten, antwortete Dr. Hagemann, man solle „beruhigend auf die Bevölkerung einzuwirken, die in keiner Weise gefährdet sei.“ Bei der Unterbringung des Leprakranken sei alles geschehen, „was das Gesetz vorschreibe.“ Nach menschlichem Ermessen liege kein Grund zur Aufregung in der Bevölkerung vor. Fazit:

„Die Unterbringung des Paters in Essen wurde weder verantwortungslos entschieden noch stellt sie eine gesundheitliche Gefährdung für die Bürger dar.“ (Zitiert nach Grünner, S. 88).

Die Leidenszeit

„Es war für ihn“, so schrieb P. Hartz in seinem Nachruf, „eine große Freude, in der Nähe seiner Mitbrüder zu sein, die ihm abwechselnd Gesellschaft leisteten und ihn mit den Mitteln trösten konnten, die die Religion bietet.“ Vom Tag des Einzugs an feierten Mitbrüder, getrennt durch eine Glasscheibe, so oft wie möglich mit dem bettlägerigen P. Knoop die heilige Messe in der kleinen Kapelle des Hauses, in dem er bis zu seinem Tod von der privaten Krankenschwester Josefine Jansen rund um die Uhr betreut wurde.

Die ärztliche Versorgung des Kranken lag in den Händen von Dr. Karl Feldhoff aus Borbeck, der mit einer Sondergenehmigung des Essener Gesundheitsamtes das Haus unter strikter Einhaltung der Hygieneregeln betreten durfte. Josefine Jansen verließ in der ganzen Zeit der Krankenpflege das Gelände nicht ein einziges Mal. Da sie während der Dauerquarantäne selbst keinen Fuß auf die Straße setzte, besorgten Nachbarn die zum Leben notwendigen Dinge und reichten sie ihr über den Zaun an. P. Heinrich Knoop war mit der Zeit völlig hilflos geworden, im letzten Lebensjahr verlor er sogar das Augenlicht. Pfarrer Stephan Berghoff von St. Maria Rosenkranz in Bergeborbeck (1891-1963) hat die selbstlose Arbeit der Schwester Josefine eindrucksvoll geschildert:

„Da sitzt sie vor mir, eine Tochter unserer Stadt, eine Privatpflegerin, die freiwillig zweidreiviertel Jahre hindurch dem ärmsten Kranken Vater und Mutter war. Sie hat den aussätzigen Missionar wie einen hilflosen Säugling gepflegt. Zweidreiviertel Jahre lang lag er ständig auf seinem Schmerzenslager. Die Gelenke an Händen und Füßen waren brüchig, wollte er sich aufrichten, brach er in sich zusammen. Wollte er etwas festhalten, entfiel es seinen Händen. Nicht einmal eine Träne konnte er sich aus dem Auge wischen. Jeden Bissen musste ihm die Schwester in den Mund stecken. Jeden Schluck Wasser ihm einflößen. Zweidreiviertel Jahre hat sie keine Nacht ohne viele Unterbrechungen geschlafen.“ (Zitiert nach Berghoff).

Anschaulich berichtete Josefine Jansen über den körperlichen und seelischen Zustand des Kranken. P. Knoop sei nie ohne Schmerzen gewesen. Der Aussatz habe ihm nicht nur körperlich zugesetzt, sondern auch seine Willenskraft lahmgelegt. Tapfer habe sich der Pater gegen die Krankheit gewehrt. Josefine Jansen:

„Er half sich mit Stoßgebeten. Heilige Messe und heilige Kommunion am Sonntag und Herz-Jesu-Freitag gaben neuen Mut. Seinetwegen musste ich immer munter und froh auftreten. Wie eine Mutter ihr kleines Kind tröstet, so musste ich es bei ihm machen. Mehr als einmal habe ich den Heiland am Kreuze verstanden, wo er klagt, dass selbst Gott ihn verlassen habe.“ (Koerner, Zwischen Schloss und Schloten, S. 170/171).

Besuchern erzählte P. Knoop gern und ausgiebig von seiner Zeit in Kolumbien und seiner Arbeit mit den Indianern und Aussätzigen dort. Sonst hatte er nicht viel Abwechslung in seinem Alltag. Wohl hatte man ihm ein Radio ans Krankenbett gestellt, doch war das nur ein schwacher Ersatz für die fehlenden Kontakte mit der Außenwelt. Josefine Jansen erzählte, dass P. Knoop Blumen liebte und dem Gesang der Vögel am Morgen lauschte. Besonders gefreut habe er sich, wenn er ferne Kinderstimmen hörte.

Nach einem langen, neun Jahre währenden Leiden starb P. Heinrich Knoop am 12. September 1933 im Alter von 50 Jahren an den Folgen eines Bronchialkatarrhs und einer akuten Lungenentzündung. Am 15. September wurde er unter großer Anteilnahme der Bevölkerung als erster Salesianer auf dem katholischen Friedhof an der Hülsmannstraße beigesetzt. Ein langer Trauerzug begleitete ihn auf seinem letzten Weg vom Weidkamp zum Friedhof. Johannes Wielgoß schrieb dazu:

„Dem Sarg folgten seine Mitbrüder, Dechant Johannes Gatzweiler, Pfarrer Johannes Brokamp und weitere Priester des Ortsklerus, der Don-Bosco-Zirkel und eine große Schar der Borbecker Bevölkerung. Nur wenige von ihnen waren dem Toten in seinem Leben begegnet, durch sein Schicksal und die Pressekampagne war er ihnen bekannt geworden.“ (Wielgoß, Das Haus der Salesianer, S. 61).

Ihre Teilnahme am Trauerzug war eine Demonstration der Solidarität mit der salesianischen Jugendarbeit in Borbeck und ein Zeichen gegen die Vereinnahmung und Gleichschaltung der deutschen Jugend durch den NS-Staat.

Nachbemerkung

Haus und Grundstück hatte die Friedrich Krupp AG Anfang der 1940er-Jahre für den Aufbau des Rüstungsbetriebs Panzerbau am Weidkamp beschlagnahmt. Nach dem Krieg führte P. Theodor Fennemann (1901-1978), als Nachfolger von P. Theodor Hartz Direktor des St. Johannisstiftes der Borbecker Salesianer von 1945 bis 1951, Verhandlungen mit Vertretern der Friedrich Krupp AG über eine Wiedergutmachung. Vor dem Wiedergutmachungsamt beim Landgericht Essen kam es 1951 zu einem Vergleich. Die Friedrich Krupp AG musste den Salesianern eine Entschädigung in Höhe von 30.000 Mark in drei Raten zahlen. Heute ist über das Schicksal des leprakranken Paters und über Panzerbau längst Gras gewachsen. Umso wichtiger ist es, immer wieder daran zu erinnern.

Franz Josef Gründges

 

Quellen:

Artikel „Eremitage eines leprakranken Paters“, Essener Volkszeitung vom 31. Dezember 1930.

Artikel „Ein leprakranker Einsiedler in Borbeck, Borbecker Lokalanzeiger vom 01. Januar 1931.

Artikel „Der leprakranke Pater in Borbeck, Essener Volks-Zeitung vom 03. Januar 1931.

Nachruf und Totenzettel, Essener Volkszeitung vom 14. September 1933.

Nachruf in der Kölner Volkszeitung vom 15. September 1933.

Nachruf, Essener Lokalanzeiger vom 16. September 1933.

Archiv der Salesianer in München (u.a. die Todesanzeige und der Nachruf von P. Theodor Hartz auf Italienisch).  

Archiv des Heimatvereins Raesfeld e.V. (Karl-Heinz Tünte).

Bistumsarchiv Münster. Depositum. Findbuch J 679. Pfarrarchiv Raesfeld, bearbeitet von Andrea Gawlytta. Münster 2020.

Chronik der Pfarrgemeinde St. Martin, Raesfeld.

Telefonische Auskünfte von Werner Mümken aus Raesfeld am 17. Juni 2021.

 

Literatur:

Koerner, Andreas: Ein leprakranker Einsiedler am Weidkamp 1930 bis 1933, Zwischen Schloss und Schloten. Die Geschichte Borbecks, Bottrop 1999.

Wielgoß, Johannes: Heinrich Knoop (1883-1933). Ein Leben in Solidarität mit Aussätzigen, Deutsche Provinz der Salesianer (https://www.iss.donbosco.de. – 2011).

Johannes Wielgoß, Das Haus der Salesianer DON Boscos in Essen-Borbeck, 2015 (PDF, S. 84).  

Johannes Wielgoß: Mit den Indianern verbunden – bis in den Tod. In: SDB-Info, München, September 2016. (Zitiert bei Grünner, S. 88).

Klee, Agnes/Wielgoß Johannes: Aussätzigen wie Säugling gepflegt. Vor fünfzig Jahren starb Pater H. Knoop im Lepra-Häuschen am „Panzerbau“, Borbecker Nachrichten Nr. 41 vom 07. Oktober 1983.

Klee, Agnes/Wielgoß, Johannes: Aussätzigen wie Säugling gepflegt. Vor fünfzig Jahren starb Pater H. Knoop im Lepra-Häuschen am „Panzerbau“, Borbecker Nachrichten Nr. 41 vom 07. Oktober 1983.

Grünner, Josef: Glaubensstark, Einsatzfreudig, Volksnah, Überzeugend. Lebensbilder erster deutschsprachiger Salesianermissionare in Brasilien und Kolumbien, Benediktiner Schriftenreihe zur Lebensgestaltung im Geiste Don Boscos, Heft 50, August 2020.

Schwester Mechtildis Knoop – „Colegio Santa Clara“ Bogotá/Kolumbien, Kolumbien aktuell Nr. 86, Dezember 2011, hrsg. vom Kolumbianischen Freundeskreis e.V.

Sandrock, Maria Virgilis: Schwester Mechtildis Knoop (1889-1973). Schulen in Kolumbien, Emil Stehle (Hg.), Zeugen des Glaubens in Lateinamerika. Mainz 1980, S. 92-96.

Berghoff, Stephan: Aussätzigen wie hilflosen Säugling gepflegt. Zur fünfzigsten Wiederkehr des Todestages von Pater Heinrich Knoop, Christlicher Pilger, Speyer 1983.

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