In Essen gibt es noch 187.637 Katholiken

Bistum zählte 2019 deutlich mehr Kirchenaustritte

1 29.06.2020

ESSEN. Angesichts stark gestiegener Austrittszahlen und nach wie vor deutlich mehr Verstorbenen als Getauften ist die Zahl der Katholiken im Bistum Essen im vergangenen Jahr um 15.811 auf knapp 740.000 zurückgegangen. Dies geht aus der Jahresstatistik hervor, die das Ruhrbistum am Freitag zusammen mit allen deutschen Diözesen und der Deutschen Bischofskonferenz sowie den Evangelischen Landeskirchen und der Evangelischen Kirche in Deutschland veröffentlicht hat. Im Stadtdekanat Essen zählte die katholische Kirche im vergangenen Jahr 187.637 Mitglieder .

Vor allem in der anhaltenden Diskussion über den Umgang der Kirche mit Missbrauchsfällen sieht der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer einen Grund dafür, dass 2019 im Ruhrbistum 7216 Katholiken (nach 5526 in 2018) aus der Kirche ausgetreten sind. „Es ist bitter zu sehen, dass es uns nicht hinreichend gelingt, die Aufarbeitung der unsäglichen Missbrauchstaten so entschieden und überzeugend voranzutreiben, um verloren gegangenes Vertrauen zurück zu gewinnen“, sagt Pfeffer. Gleichwohl werde der Weg der transparenten Aufklärung und der Präventionsarbeit fortgesetzt, betonte er. „Nur so haben wir überhaupt eine Chance, wieder glaubwürdig zu werden.“

Der relative Anteil der Ausgetretenen an der Gesamtzahl der Katholiken war 2019 mit 0,98 Prozent so hoch wie nie zuvor in der Geschichte des Bistums Essen. Absolut wurde der Wert nur durch 7551 Austritte im Jahr 2014 übertroffen, als der Skandal um den damaligen Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van-Elst viele Menschen bewegte.

Aktuell sieht Pfeffer jedoch nicht nur im Missbrauchsskandal einen wichtigen Grund für Kirchenaustritte: „Das, was wir den Menschen von unserem Glauben erzählen und vorleben, muss mit dem konkreten Leben der Leute zu tun haben“, sagt Pfeffer, „Christsein muss für die Menschen relevant sein“. Gerade in den zurückliegenden Wochen der Corona-Krise hätte manche Gemeinde „sehr wach auf die Sorgen und Nöte der Menschen in ihrer Nachbarschaft geschaut und mit tollen Aktionen reagiert, sei es mit attraktiven Online-Gottesdiensten, einem offenen Ohr am Telefon oder tatkräftiger Hilfe beim Einkaufen“, hebt Pfeffer hervor. Angesichts einer solchen Krise, die alle menschlichen Pläne plötzlich in Frage stellt, zeige sich die Bedeutung eines religiösen Fundaments, das inneren Halt in unsicheren Zeiten geben könne, so der Generalvikar. „Christlicher Glaube schenkt Zuversicht, Kraft und Besonnenheit, die wir in Corona-Zeiten dringend brauchen!“

Pfeffer sieht mit großer Sorge, dass vor allem junge Erwachsene aus der Kirche austreten: „Wir müssen den Dialog mit jungen Menschen suchen – und ihnen zuhören, damit wir verstehen, was bei uns anders werden sollte.“ „Niemand ist mehr ,automatisch‘ katholisch“ Seit der Gründung des Ruhrbistums vor mehr als 60 Jahren hat sich die Mitgliederzahl um die Hälfte reduziert. „Wir rücken zusammen“, beschreibt Pfeffer deshalb das Gefühl im Ruhrbistum. Dies biete aber auch Chancen auf lebendigere Gemeinschaften, „weil sich Katholiken heute aktiv und aus innerster Überzeugung für ihren Glauben entscheiden und niemand mehr ,automatisch‘ katholisch“ sei.

Gleichwohl verstärkt der Mitgliederschwund die schwierige finanzielle Situation des kaum mit Rücklagen gesegneten Ruhrbistums. Neben den Austritten vieler erwerbstätiger – und damit Kirchensteuer zahlender – Katholiken und dem beginnenden Ruhestand der „Babyboomer“-Generation stellt sich das Bistum angesichts der coronabedingten Wirtschaftskrise aktuell auf weitere finanzielle Schwierigkeiten ein. Pfeffer erwartet: „Unser ständiges Ringen um die Frage, welche Aufgaben und Projekte für uns als Kirche wirklich wichtig sind, wird in den kommenden Jahren nicht weniger werden.“

57.600 Menschen besuchen am Wochenende einen Gottesdienst
Trotz sinkender Mitgliederzahlen ist die katholische Kirche an Rhein, Ruhr und Lenne nach wie vor eine relevante Größe: In den Städten des Ruhrgebiets ist jeweils ein gutes Viertel bis ein Drittel der Menschen katholisch, in Bottrop sind es sogar gut 40 und in der traditionellen Diaspora-Region des Märkischen Sauerlands gut 20 Prozent. An einem durchschnittlichen Wochenende besuchen gut 57.600 Katholiken (7,8 Prozent der Kirchenmitglieder) einen der 472 Gottesdienste. Der Rückgang um rund 1000 Messbesucher binnen Jahresfrist entspricht in etwa der gesunkenen Zahl der Kirchenmitglieder. Zudem wurden im Schnitt pro Wochenende 17 Gottesdienste weniger gefeiert als im Vorjahr.

Starke Rückgänge bei Trauungen und Bestattungen
Die Zahl der Taufen ist 2019 konstant geblieben – ein Rückgang in der Statistik ergibt sich durch eine Umstellung bei der auch außerhalb des Ruhrbistums aktiven chaldäischen Gemeinde. Bei Erstkommunion- und Firm-Feiern registrierten die 42 Pfarreien im Ruhrbistum einen leichten Rückgang auf 4625 Kommunionkinder (-42) und 2518 Firmanden (-75). Deutlich stärker fiel – nach mehreren Anstiegen in den vergangenen Jahren – der Rückgang bei den Trauungen aus: Mit 986 Paaren traten rund 200 Paare weniger vor den Traualtar als im Vorjahr. Bei den katholischen Bestattungen setzt sich der Negativtrend der vergangenen Jahre fort: Nach 8776 Bestattungen im Vorjahr gab es im Ruhrbistum im vergangenen Jahr nur 8140. Ein Wert, der vor allem eine Veränderung in der Trauerkultur in den Kirchengemeinden beschreibt. Für die Mitgliederstatistik des Bistums relevanter ist die Schätzung, dass im vergangenen Jahr bistumsweit rund 12.100 Katholiken verstorben sind.


Ausgewählte Zahlen aus der kirchlichen Jahresstatistik Bistum Essen (Gesamtwerte)
Katholiken        2019: 739.265        Bestattungen        2019: 8.140
       2018: 755.076                2018: 8.776
       2010: 846.633                2010: 9.954

Taufen:        2019: 4.824        Ein-/Übertritte/        2019: 292
       2018: 5.157        Wiederaufnahm.        2018: 314
       2010: 4.953                2010: 392

Trauungen:        2019: 986        Austritte         2019: 7.216
       2018: 1.197                2018: 5.526
       2010: 1.250                2010: 5.296

Stadtdekanat Essen
Katholiken        2019: 187.637        Bestattungen        2019: 2.038
       2018: 191.403                2018: 2.217
       2010: 212.493                2010: 2.544

Taufen:        2019: 1.402        Ein-/Übertritte/        2019: 73
       2018: 1.770        Wiederaufnahm.        2018: 91
       2010: 1.340                2010: 107

Trauungen:        2019: 264        Austritte         2019: 1.850
       2018: 349                2018: 1.511
       2010: 348                2010: 1.340

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Kommentare

Kommentar von Altfrid Breiderhoff |

Altfrid Breiderhoff, Fürstenbergstraße

Leserbrief zum Thema: „Den Kirchen laufen die Gläubigen weg“

"Die anhaltende Diskussion über den Umgang mit den Missbrauchsfällen in der Kirche ist und bleibt noch ein wichtiger und nicht zu unterschätzender Grund für weiterhin massive Kirchenaustritte.
Aber gibt es nicht noch weitere, auch nicht zu unterschätzende Gründe?
Die katholische Kirche lebt eine Parallelgesellschaft in unserer Mitte, in der nach wie vor Frauen nicht zu allen Ämtern zugelassen werden. Das muss sich ändern! Die Modelle „viri probati“ oder „feminae probatae“ (=erprobte Frauen und Männer, die sich für ein Priesteramt eignen könnten) müssten endlich einmal umgesetzt werden, damit der Zugang zum Priesteramt verkürzt und erleichtert wird. Diese Priester könnten durch ein ständiges Coaching begleitet und gefördert werden. Mit mehr Priestern ist auch mehr
Seelsorge möglich. Spiritualität ist auch in unserer Gesellschaft gefragt.
Das Bistum Essen ist „Weltmeister“ im Abreißen von Kirchen und Zusammenlegungen von Kirchengemeinden. Dieses Vorgehen hat viele heimatlos gemacht, die aus Sorge, dies noch einmal zu erleben, sich nirgendwo mehr einbringen wollen. Ansonsten geht alles nach dem Motto: Weiter so wie bisher!
Eine veränderte Seelsorge ist in diesen Umstrukturierungen nicht zu erkennen. Was ist mit den Menschen, die aus der Kirche ausgetreten und keine Beitragszahler mehr sind, werden diese automatisch zu Atheisten?
Würde Gott seinen Sohn nochmals in diese Welt schicken, würde Jesus seinen Nachfolgern auf die Schultern klopfen und sagen: „Ihr macht das alles toll, weiter so, auf keinen Fall müsst ihr etwas ändern!“
Wo sind die Visionäre, die unsere Kirche in die Zukunft führen werden, die Leidenschaft und Mut beweisen, wirklich etwas zu verändern und zu bewegen?
Die ständige Dialogbereitschaft ohne tatsächliche Veränderung ist nur eine Farce.
Vielleicht müsste man dann auch in Zukunft nicht nur weitere Kirchenaustritte beklagen."

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