Meine Heimat RWE

Ein ganz besonderer Ort – eine ganz besondere Heimat

0 05.06.2021

„Heimat ist da, wo das Herz zuhause ist. Roman Weidenfelders Fußball-Herz fühlte sich 16 Jahre im Stadion vom BVB am wohlsten“, schrieb die Presse 2018 zum Abschied des Dortmunder Torhüters. Auf einer Fußballpostkarte steht als Leitspruch: „Es ist nicht nur ein Stadion, sondern unser zuhause“. In einem alten RWE Fan Gesang heißt es: „Unsere Heimat unsere Liebe in den Farben rot und weiß, 1907 nur damit es jeder weiß.“ Ein Fußballstadion scheint also ein ganz besonderer Ort und eine ganz besondere Heimat zu sein.

Essen Meine Stadt = Rot-Weiss lautete das Saisonmotto in einer der ersten Spielzeiten unter Dr. Michael Welling, der 2010 als neuer geschäftsführender RWE-Vorsitzender in Zeiten der RWE-Insolvenz wusste, was es hieß auf Geschichte und Heimatverbundenheit zu setzen. Das Beispiel Rot-Weiss Essen zeigt,

  • was diese Heimatverbundenheit bedeutet,
  • wie sie über 100 Jahre gewachsen ist und wie für sie gekämpft wird,
  • dass dabei durchaus auch Verklärungen eine Rolle spielen.

Die Wurzeln – wie alles anfing

Ein Ball, ein neuer Sport und eine sich dafür begeisternde Familie. Die Eltern Katharina und Heinrich Melches unterstützten den Wunsch ihrer Söhne Georg und Hermann, Fußball zu spielen. Und das in einer Zeit, wo dies vielfach verpönt war. Sie legten ihren Söhnen zum Weihnachtsfest 1906 einen Fußball auf den Gabentisch. Die heimliche Geburtsstunde von RWE.

In einem Rückblick aus dem Jahre 1925 heißt es: „Der Ball war die Hauptsache, das andere fand sich von selbst: Spieler, mehr als nötig waren, an Platz fehlte es in der Borbecker Mark auch nicht. Die ersten Wettkämpfe fanden zwischen Straßen- und Gartentor auf Melches-Hof statt. Die weiteren zwischen Bäumen und Sträuchern der Zechenwiesen.“

Ein Wohnumfeld also, das den jungen Fußballbegeisterten eine Heimat bot, um ihrem Freizeitvergnügen nachzugehen. Die Waschküche im Elternhaus Melches diente als erster Versammlungsort der jungen Spielgemeinschaft. Auch die Vereinsanschrift war lange Zeit die des Elternhauses Melches.

Die wachsende Spielgemeinschaft brauchte aber schließlich eine eigene feste Vereinsspielfläche. Den fand sie an der Vogelheimer Straße 97 (später 97a), die erst seit 1936 Hafenstraße heißt. Dort ist RWE seit 1920 beheimatet.

Im Zweiten Krieg wurde die 1939 zum Stadion ausgebaute Anlage weitgehend zerstört. Doch schon kurz nach dem Ende des Nationalsozialismus beschloss man auf der ersten Mitgliederversammlung am 31. August 1945 - die vor den Trümmern der Tribüne auf dem verschlammten Spielfeld stattfand - ihren Wiederaufbau.

Die wieder aufgebaute Stadionanlage um 1950

Autogrammkarte Fritz Herkenrath, darunter die Autogrammkartenvorlage: Der eigentliche Star ist die Stadionanlage

Der Stolz eines Stadtteils

Das Stadion an der Hafenstraße wurde in den 1950er Jahren zu einem der modernsten Stadien in der Zeit des Wirtschaftswunders ausgebaut. Zwischen 1954 und 1957 entstand die Haupttribüne als eine Multifunktionsanlage, die unter den 4784 Sitzplätzen sogar Wohnungen, einen Verwaltungsbereiches, eine Turnhalle, die Vereinsgaststätte und viele weitere Räumlichkeiten beherbergte. Im Außenbereich errichtete man außerdem Tennisplätze und eine Gartenanlage – die „Kleine Gruga“.

In der Verbandszeitung des Westdeutschen Fußballverbandes wurde die Anlage mit dem Sportpark von Arsenal London verglichen: „Bergeborbeck ein deutsches Highbury“.

Der Stolz auf diese sportliche Heimat kommt in einer Postkarte zum Ausdruck. Sie ist nur auf den ersten Blick die Autogrammkarte der rot-weißen Spieler. Ihre Konterfeis waren austauschbar wie die Vorlage zeigt. Im Mittelpunkt steht der Stolz auf die geschaffene und ausgebaute Heimat, die Platz – und Stadionanlage von Rot-Weiss Essen.

Bild unten: Westkurve in den 1960er Jahren

Alte West im neuen Stadion. Darunter: Die Westkurve lebt.

Aus dem Georg-Melches-Stadion wird ein Parkplatz

Wo sind wir zuhause - Alte und neue Heimat

Rot-Weiss Essen spielt anders als viele andere bekannte Vereine im Grunde immer noch da, wo alles begann. Trotzdem mussten die Fans gefühlte Verluste der angestammten Heimat erleben.

Ursprünglich ist die Heimat der eingefleischten Fans die Westkurve gewesen. Hier standen auch Originale wie Moses, Sirenen-Willi oder Lothar – der Schreck vom Niederrhein. Als die Westkurve wegen Baufälligkeit Anfang der 1990er Jahre erst geschlossen und dann abgerissen wurde, zog man auf die 1975 überdachte Nordtribüne in den Block K. Doch auch hier musste man wegen Teilsperrungen der Tribüne weichen und fand sich zum Schluss sogar auf den ursprünglichen Gästeplätzen wieder – der Osttribüne.

Als 2012 der Stadionneubau in die finale Phase ging und klar war, dass der ursprüngliche Standort zu einem Parkplatz vor dem neuen Stadion umgewandelt werden würde, ging quer ein Aufschrei durch die Republik. In der FAZ erschien sogar ein Artikel mit dem Titel: „Essener Georg-Melches-Stadion: Hier stirbt ein Stück Ruhrgebiet.“ Darin hieß es: Erinnerungskultur in Deutschland: Im gleichen Moment, da in Dortmund die Grundsteinlegung für ein gesichtsloses, technisch hochgerüstetes Fußballmuseum stattfindet, wird in Essen ein lebendiger Geschichtsort mit hohem Identifikationswert ohne Not geschleift. Ein Sportdenkmal plattgemacht für einen Parkplatz. Dabei gibt es nicht viele Sportstätten, die den verschiedenen Kriterien des Denkmalschutzes - zeithistorischen, baukünstlerischen und volkskundlichen - so mustergültig genügen.

Bei allem anerkennenswerten Engagement die alte Haupttribüne als Denkmal an die erfolgreichen rot-weißen Jahre zu erhalten, die ein halbes Jahrhundert zurückliegen, handelt es sich nichtsdestotrotz um ein gehöriges Stück verklärter Vergangenheit.

Vor der 1957 fertig gestellten Tribüne hat keiner der großen Erfolge (DFB-Pokalsieger 1953, Deutscher Meister 1955) von RWE stattgefunden – wenn man einmal von den Bundesligaaufstiegen, dem Gewinn der Deutschen Amateurmeisterschaft oder Niederrheinpokalfinalsiegen absieht.

Sie hat vielmehr nach Aussage des über drei Jahrzehnte tätigen ehemaligen Geschäftsführer Paul Nikelski den Verein bereits unmittelbar nach ihrer Fertigstellung jedes Jahr fünf Vertragsspieler gekostet. Damit begann der sukzessive Niedergang von RWE, der 1961 zum Abstieg aus der damals höchsten Spielklasse Oberliga West und 1975 zum Notverkauf des Stadions an die Stadt Essen führte - sonst wäre der Verein schon damals Pleite gewesen.

Ein weiterer Aspekt: Wie oft riefen die Fans in Richtung Haupttribüne „Scheiß Tribüne“?, wenn ihnen die dortigen Sitzplatzbesucher wieder zu behäbig erschienen und nicht sofort reagierten, wenn es hieß: „Steht auf, wenn ihr Essener seid“.

Rot-Weiss Essen hat auf die Gefühlslage zum Verlust des Georg-Melches-Stadions reagiert. Der 2010 verpflichtete Marketingexperte Michael Welling ließ die Westkurve mittels einer Holztribüne in der Bauphase des auf den alten Trainings- und Tennisplätzen neu entstehenden Stadion Essen dann wenigstens symbolisch noch einmal aufleben und ging nach der Fertigstellung der neuen Spielstätte sogar noch einen Schritt weiter. Die etwa an der Stelle der ehemaligen Westkurve errichtete und 2013 als letztes fertiggestellte Tribüne erhielt den Namen „Alte West“ – die einzige Fankurve Deutschlands die als Westkurve geografisch im Osten steht. Sie ist heute die neue Heimat der RWE-Fans.

Auf der neuen Haupttribüne im Stadion Essen steht der Schriftzug „Wo sind wir zuhause, wo wird man uns immer hören – an der Hafenstraße RWE. Für die VIP-Bereiche wird auf der Internetseite geworben mit der Überschrift: „Neues Stadion – alte Heimat Hafenstraße“. Und die beiden VIP-Bereiche der Haupttribüne tragen die Namen Assindia und Zeche Hafenstraße.

Identitätsorientierte Markenführung heißt das bei den Betriebswissenschaftlern, wissend, dass diese Sehnsucht nach Identität und dazu notwendiger Anknüpfungspunkte der homo historicus, der jeder von uns ist, in sich verspürt. Der aktuell allgegenwärtige Begriff Heimat spielt dabei also eine ganz wichtige Rolle.

Der Anfang des Freilichtlichtmuseum Kleine Gruga auf dem Grünstreifen zum neuen Stadion

Die neue kleine Gruga und der RWE-Friedhof

Ein neues Stück Heimat entsteht außerdem am Ort des alten Stadions durch die GMS-Initiative - ein Fanprojekt zum Erhalt und Wiederaufbau eines Streifens rot-weisser Geschichtskultur: Seit Mai 2015 entsteht auf der Grünfläche entlang der Einfahrt zum Stadion an der Hafenstraße eine RWE-Erinnerungslandschaft mit verschiedenen Andenken aus dem alten Georg-Melches-Stadion. Ziel des von den Fans selbst finanzierten Projekts ist es, einen Zeitstrahl der Historie des Traditionsvereins zu schaffen, der Stück für Stück erweitert wird. Es ist Deutschlands einziges Fußball-Freilichtmuseum.

Ihre endgültige irdische Heimat können ganz eingefleischte RWE-Fans seit 2019 auf dem Matthäusfriedhof hinter der Grabstätte des Vereinsgründers auf dem Georg-Melches-Feld finden. Dort finden bis zu 50 Urnen ihren Platz. Jenseits des angrenzenden Weges sind außerdem acht bis zehn Sarggräber auf dem Feld 1907 vorgesehen. Denn, wie heißt es in dem wohl bekanntesten RWE-Lied in der letzten Strophe:

Es musste mal so kommen, es musste mal gescheh`n

Auch Opa Luscheskowski musste einmal von uns geh`n

Und oben angekommen, da ging es ziemlich flott

Da sang er mit den Engeln und mit dem lieben Gott

Wir werden Essen nie vergessen…

Georg Schrepper

Georg-Melches-Grab, Sitzecke, Feld 1907

Blick von Sitzecke zum Georg Melches-Grab

Georg-Melches-Grab, Urnengrabfeld

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