Vor 75 Jahren: Borbeck in Trümmern

Der Krieg geht zu Ende

0 11.10.2019

BORBECK. Fake-News und Lügen aus allen „Volksempfängern“ - trotz Durchhalteparolen und geschönten Wehrmachtsberichten war im Spätsommer 1944 im Grunde längst jedem klar: Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Auf breiter Front war der 1939 begonnene deutsche Angriffskrieg auf fast ganz Europa zusammengebrochen, die von der Propaganda hoch gefeierte Luftwaffe nur noch ein Torso. Die alliierten Streitkräfte waren am 6. Juni 1944 in der Normandie gelandet und kämpften sich durch Frankreich. Währenddessen lief die bereits 1943 auf der Casablanca-Konferenz zwischen Großbritannien und den USA beschlossene gemeinsame Bomberoffensive, um die Invasion zu unterstützen und dem Krieg ein Ende zu setzen.

Die Folge: Der Krieg erreichte nun auch seinen Ausgangspunkt. Überall bestimmten Sirenen, Luftalarm und volle Luftschutzkeller bald den Alltag – nicht zuletzt an der Ruhr, in der vom Regime so gepriesenen „Waffenschmiede“ des sog. „Dritten Reiches“. Innerhalb von Minuten brachten Tausende Tonnen Bombenlast Tod und Zerstörung. Für die Naziführung kein Problem – im Gegenteil: Dass die Städte getroffen werden, sei „von einer höheren Warte aus" nicht ganz so schlimm, erklärte Hitler, sie seien miserabel gebaut. „Wir werden durch die britischen Luftangriffe hier Platz bekommen“, notierte Propadandaminister Goebbels diese Äußerung Ende Juni 1943 in seinem Tagebuch.

Angriffe auf die Ruhr

Seit dem Frühjahr 1944 griffen jetzt die alliierten Luftwaffen in koordinierten Wellen an - über Tag die US-Amerikaner, britische Flächenangriffe folgten in den Nachtstunden. Die Flugabwehr, zu der schließlich sogar Schüler eingeteilt wurden, war völlig überfordert. Als erste Ziele bestimmte die Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force (SHAEF) vor allem Bahnstrecken und große Bahnhöfe, über 700 Maschinen luden Ende März 1944 ihre tödliche Fracht auf Essen ab. Bis Ende Mai folgten strategischen Luftangriffe auf Aachen, Köln, Düsseldorf, Dortmund und Duisburg. Im Herbst wurden sie immer weiter verstärkt, fast 500 Maschinen flogen am 6. Oktober 1944 auf Dortmund.

Oktober 1944: Operation Hurricane

Es war der Beginn einer ganzen Reihe schwerer Luftangriffe, die das Royal Air Force Bomber Command und das 8. United States Bomber Command nun auf alle bedeutenden Industriestädte im Rheinland und in Westfalen ausweitete: Die 8. USAAF erhöhte ab September 1944 ihre Zahl und Stärke. Ab Oktober und November 1944 nahm sie Kokereien, Treibstoffwerke und Hydrierwerke in Gelsenkirchen, Bottrop und Oberhausen ins Visier, um den Nachschub für die Kriegsrüstung zu stoppen. Mitte Oktober begann die gemeinsame „Operation Hurricane” und am 14./15. Oktober legten 1.800 britische Flugzeuge das Stadtgebiet von Duisburg in Schutt und Asche. Inzwischen hatte Aachen als erste deutsche Stadt bereits kapituliert – dort war der Krieg damit vorbei.

Nicht so im Ruhrgebiet – hier sollte das Elend noch fast sieben Monate länger andauern. Und das nächste Ziel der Bombergeschwader wurde Essen. In der Nacht vom 23. zum 24. Oktober sowie am Folgetag kamen hier mindestens 1.163 Menschen ums Leben, etwa 1.800 britische Flugzeuge warfen 8.500 Tonnen Bomben über der Stadt ab. Bochum folgte nur eine Woche später, bis Dezember 1944 versanken Hagen, Soest, Siegen, Witten und wiederum Essen im Bombenhagel – so schwer und vernichtend, dass die militärischen Kommandos noch vor Jahresende mit dem Zusammenbruch des NS-Regimes rechneten.

Ende eines Albtraums

Doch erst im März 1945 überschritten Amerikaner, Kanadier und Briten auf breiter Front den Rhein. Die über 300.000 deutschen Soldaten im  Ruhrkessel hatten ihnen schon lange nichts mehr entgegenzusetzen. An den Litfaßsäulen Essens waren überall noch NS-Durchhalteparolen plakatiert worden, Kinder und Alte wurden zum Volkssturm gezwungen, Deserteure erhängt, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter erschossen. Jetzt irrten überall Flüchtlinge und Ausgebombte durch die Straßenschluchten.

Von allen Ruhrgebietsstädten hatte es Essen besonders schwer getroffen: Den insgesamt 272 Luftangriffen auf die Stadt waren hier in all den Jahren etwa 7.500 Menschen zum Opfer gefallen, mehr als 32.000 Sprengbomben fielen, über 1.400.000 Brandbomben und 4.600 Minen. 51 Prozent des gesamten Baubestandes wurden zerstört, 50.000 Häuser schwer bis mittelschwer, nur 6.300 waren unversehrt.

Doch mit der Kapitulation war endlich das ständige Heulen der Alarmsirenen vorbei, die Angst der Millionen, die nach den Nächten in den Kellern nun buchstäblich auf den Trümmern ihrer Existenz saßen, wich langsam neuer Hoffnung. Mit der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 war auch die Allmacht der Nazi-Diktatur gebrochen, die für diesen ersten global geführten Krieg verantwortlich war. An ihm waren insgesamt über 60 Staaten beteiligt, er kostete über 60 Millionen Menschen das Leben.

Fronleichnam vor der zerstörten Dionysius-Kirche

Fotoaufnahmen waren während des Krieges überall streng verboten – seine Auswirkungen sollten nicht dokumentiert werden. Gleichwohl entstand – entweder schon im Herbst 1944 bzw. im Frühjahr oder Herbst 1945 - eine Aufnahme der Dionysiuskirche. Sie wurde vor 75 Jahren bei dem schweren Angriff der Royal Airforce am 25. Oktober 1944, durch zwei Luftminen getroffen - lediglich der Turm und die Mariengrotte blieben damals fast unzerstört.

C. Beckmann

Unten - zum Vergleich: Der Borbecker Marktplatz mit der Dionysiuskirche vor dem Krieg. Eine Aufnahme von 1939, aus dem Jahr, in dem der Krieg mit dem deutschen Überfall auf Polen begann.

Vor dieser Kulisse gibt es ein weiteres Bild: Es zeigt den Aufzug zum Abschluss-Segen der Großen Borbecker Prozession – wahrscheinlich im Juni 1946. Vor den Trümmern der Kirche ist für den Hochaltar ein riesiges weißes Kreuz aufgerichtet, davor trägt eine Blumenwand das PX-Zeichen für „Jesus Christus“, am Turm und aufgestellten Masten hängen große Kreuzfahnen, die Ehrengarde ist aufgezogen und der Platz zwischen den zerstörten Häusern ist voller Menschen.

Postkarten der zerstörten Kirche, die im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Krieg entstanden. In den Trümmern spielten nach dem Krieg die "Kirchplatz-Piraten", wie sie vom Pfarrer genannt wurden. Die Kinder vertrieben Diebe, die auf der Suche nach Buntmetall und Brauchbarem auch die Trümmer der Kirche durchsuchten. Der prächtige Hochaltar, die Fenster und die Innenausstattung waren vollständig zerstört. Die 1860/61 gebauten gotischen Gewölbe wichen einer Faltdecke, damit die Messen schnell wieder gehalten werden konnten. Die zum 50-jährigen Bestehen des Katholischen St.Marien-Knappenvereins 1911 gebaute Mariengrotte war unversehrt geblieben.

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