Wege zum Wasser in Borbeck

Das meiste geschieht derzeit unterirdisch

0 05.01.2021

BORBECK. Wer in dieser Woche nach den Feiertagen noch nicht wieder an die Schippe muss, will auch in diesen Tagen des Lockdowns mal an die Luft. Viele Wege führen im ehedem äußerst wasserreichen Borbeck zum Wasser – auch wenn davon seit Jahrzehnten nur noch Reste zu ahnen sind. Denn in den zahlreichen Borbecker Quellgebieten entsprang manch munterer Bach und schnitt in den vergangenen Jahrhunderten die typischen tiefen Siepentäler in die Landschaft. Obwohl die Bäche durch die Grundwassersenkung längst fast verschwunden sind, darf man gespannt sein, was nach den unter Borbecks Fluren derzeit laufenden Baumaßnahmen entstehen wird.

Saubere Bäche sind das Ziel

Noch immer nehmen der Barchembach und der Alte Pausmühlenbach, die an den Stadtgrenzen zu Oberhausen und Bottrop der Emscher zufließen, unbehandelte Abwasser und offene Schmutzwasser auf. Beide Gewässer in der Unterhaltungspflicht der Stadt Essen sollen aber abwasserfrei werden. Dazu müssen sie vom nördlichsten Punkt, der Levinstraße 102, bis zum südlichsten Punkt an der Schloßstraße 226 gemäß den wasserrechtlichen Vorgaben durch ein neues unterirdisches Rohrsystem „entflochten werden“, wie es heißt. Für diese Baumaßnahme, eine der größten im Zusammenhang des Emscherumbaus, werden in Schachttiefen bis rund 19 Metern insgesamt knapp fünf Kilometer bis zu 2,80 Meter breite Rohre verlegt. Rund 3,5 Kilometer davon werden zwischen Levinstraße/Weidkamp, Hülsmannstraße, Möllhoven, Düppenberg bis zur Schloßstraße in Borbeck im Vortriebsverfahren unterirdisch vorangetrieben. Zahlreiche Sperrungen für Baugruben, Bombensondierungen und die Umlegung von Wasser- und Erdgasleitungen waren Teil des für 43,6 Mio. Euro vergebenen Projekts zur „Entflechtung des Pausmühlenbachs“.

Zentrale Baugrube an der Hülsmannstraße

Wer der Hülsmannstraße Richtung Gerschede folgt, quert vor der Bahnunterführung unbemerkt den Pausmühlenbach, der erst rechts der Straße Richtung Donnerstraße wieder sichtbar zu Tage tritt. Hier sieht man vor der Bischof-Franz-Wolf-Straße derzeit fleißige Maulwürfe bei der Arbeit, denn dort wurde eines der neun bis zu 20 Metern tiefen große Schachtbauwerke für die gesamte Baumaßnahme niedergebracht. Die dort entstandene Baugrube wurde und wird gleich dreifach genutzt: Zwei Abwasserkanäle wurden von hier aus vorgepresst, zugleich ist die Grube Ziel eines neuen Kanals. Seit November 2020 sind die 750 Meter Vortrieb zwischen Hülsmannstraße und Düppenberg abgeschlossen und im März 2022, so der Plan, soll hier alles fertig sein. Sicher wird dann auch der abgeräumte Spiel- und Bolzplatz wiederhergestellt.

Von der Schmalenbecke zu Voßgätters Mühle

Teil des Projekts ist auch die oft unbeachtete Schmalenbecke, die unterhalb von St. Paulus durch die tief eingeschnittene Schlucht murmelt. Viele Vogelarten schwirren hier durch die Wildnis, über der sich ein einzigartiges malerisches Idyll erstreckt: Zwischen dem Teich an der Gerscheder Straße und dem ehemaligen Schafenkampskotten geht der Blick auf die Paulus-Kirche und den alten Kerkmannshof (Bild unten). Das Ende des 18. Jahrhunderts in Ziegelfachwerk gebaute Längsdeelenhaus ist auf der Denkmalliste der Stadt Essen eingetragen. Hierher kommt die Schmalenbecke durch die Wiesen gerieselt, von alten Weidenbäumen gesäumt.

Über den Düppenberg links Richtung Schule Gerschede folgt der Weg der Schmalenbecke bachaufwärts am 1749 erbauten ehemaligen Beckermannshof (Bild oben) vorbei und öffnet sich in ein breites grünes Tal. Die Straßennamen in der Umgegend (Mayskamp, Wilms-, Trift-, Ackerstraße und Wiedbach) stehen für die weiten Felder, die sich hier einmal über die alle Hänge erstreckt haben. Der Möllhoven, der an die gleichnamige Bauerschaft erinnert, führt schließlich zur Mühle von Voßgätter. Der 1547 gebaute Vorgänger an dieser Stelle wurde als Kornmühle der Äbtissinnen von der Wasserkraft des Paulmühlenbachs angetrieben und 1895 mit einer Dampfmaschine ausgestattet. 1900 entstand das heutige Gebäude, das 1955 das Mühlrad verlor und immerhin noch bis 1959 in Betrieb war. Seit 1983 ist dort die NABU-Naturschutzjugend zu Hause.

Die Schlucht hinter der Mühle

Hinter der 2013 vollständig sanierten Mühle tut sich für den Pausmühlenbach eine neue Schlucht auf, in deren Hang noch Reste massiven Betons zu sehen sind. Sie sind die letzten Zeugen alter Splittermauern, die man an den Eingängen von Tunneln errichtete. Sie wurden hier im Krieg zum Schutz vor Fliegerbomben in den Hang getrieben und sind heute verschüttet. Unter der Schlucht selbst zieht sich jetzt das in unseren Zeiten neu entstehende Rohrsystem: Direkt auf der ansteigenden Straße Richtung Flurstraße bremst ein weiterer Versorgungsschacht für den Bau den gesamten Verkehr aus.

Feldschlößchen wird 120 Jahre

An der Kreuzung Möllhoven/Flurstraße steht das vor 120 Jahren eröffnete Feldschlößchen. Das 2007/08 vollständig sanierte Ausflugslokal war lange vor dem Bau der Kruppsiedlung hier das beherrschende Gebäude zwischen wiegenden Getreidefeldern. „Das Schloß im Felde wurde ich genannt! Stolz blickte ich hinaus ins weite Land …“, so rühmte es sich einst für den weiten Ausblick auf Borbeck, wo sich der Dionysiuskirchturm auf dem gegenüberliegenden Hügel wie eine spitze Nadel in den Himmel reckt. Mancher durstige Wanderer hat sich hier erholt, Männergesangvereine und Kolping hatten hier ihr Stammlokal und mancher Teilnehmer an der „Großen Borbecker Prozession“ soll hier auf dem Weg auf der Strecke geblieben sein. Im Keller des Hauses ist noch einer der Fluchttunnel zu sehen, die im Zweiten Weltkrieg bis zu der an das ehemalige Grundstück angrenzende Schlucht des Pausmühlenbachs gegraben wurden. Wie die Fahne am Haus ausweist, ist dort seit 2004 der katholische Studentenverein Unitas Ruhrania zu Hause. In der andauernden Corona-Zeit sind Biergarten und Restaurant des Feldschlößchens zwar geschlossen, doch haben sich die findigen Gastronomen Yvonne und Klaus Jobs auf einen Bestellservice umgestellt.

Mineralwasser aus Borbeck

Und wer nun am Möllhovenkreuz links der Flurstraße Richtung Weidkamp hinunter folgt, trifft erneut auf Wasser: Dort ist seit 1963 die von Wilhelm Mellis 1923 Jahren gegründete Schlossquelle zuhause. Sie war noch vor einigen Jahren hier unweit mit einer Tiefbohrung auf eine Wasserblase gestoßen, die von der Eiszeit eingeschlossen war. 2017 und Ende Mai 2020 zählten die Mineralwasser aus Essen-Borbeck unter den 100 beliebtesten Mineralwässern in Deutschland mit „sehr gut“ zu den Testsiegern des Verbrauchermagazins Öko-Test.

Tunnel-Projekt geht voran

Wie es um die an der Oberfläche fließenden Gewässer in Borbeck nach dem Abschluss der Bohrungen bestellt sein wird, wird sich zeigen: Für die ganze Bauerei ist nach der Ausschreibung eine Frist bis Mitte März 2022 gesetzt. Noch bis zum 31. Dezember 2021 soll der Pausmühlenbach komplett frei von Abwasser werden, so die Stadtwerke. Wenn derzeit nicht gerade das Wasser vom Himmel strömt, kann man es bei Spaziergängen oberirdisch ahnen. Und wer in den Nachbarschaften in die Nacht lauscht, kann die letzten Bergmänner von Essen auch unter der Erde werkeln hören.
cb

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